Vorwort – 1. Semester
Demokratien sind ständig in Bewegung. Sie sind ein Experimentierfeld – und stellen uns kontinuierlich vor Aufgaben. Die Aufgabe von Entscheidungsprozessen, Kompromissfindung und notwendiger Debattenkultur, um nicht nur zu fundierten Positionen zu finden, sondern diese auch hinterfragbar zu machen. Diese Qualität ist gleichzeitig auch ihre Schwachstelle, und unsere Demokratien können ihre alarmierenden Bruchstellen nicht verbergen: Nationalistische Bewegungen, die von diskriminierenden Ressentiments geprägt sind, sind ein Zeichen. Der Ruf nach starken Männern, die Argumente mit Kettensägen verwechseln. Das Fehlen von Zeit für ein abwägendes Für-und-Wider, weil die in den sozialen Netzwerken geschürten Emotionen inzwischen den Takt vorgeben. Die Neigung von Autokrat:innen, ihre Macht als volksnah zu inszenieren, indem sie sich die vermeintliche Stimme des Volkes zu eigen machen.
Aber um welches Volk handelt es sich? Das der Internetnutzer:innen, die täglich die Algorithmen digitaler Plattformen füttern? Man könnte dann von einer „Plattformdemokratie“ (Marina Münkler) sprechen, in der freie Wahlentscheidungen anhand unserer User-Profile maßgeblich beeinflusst werden. Eine neue Form politischer Macht, die unsere Rolle als Bürger und Bürgerinnen in Frage stellt.
Mit Blick auf diese Entwicklungen setzen wir auf die Kunst in all ihren Formen. Wie steht es um ihre Fähigkeit, ambivalente Mehrdeutigkeit, und damit auch Reflexion zu schaffen? Eine Praxis des Über-Denkens, die uns unverzichtbar erscheint, um Meinungsfreiheit zu verteidigen? Diese Freiheit ist nicht etwa neutral – sie ist der Raum, in dem sich ein Pluralismus von Denkweisen produktiv beweisen muss. Sie lässt sich konkret erproben. Gerade das Theater, das Gegenentwürfe ins Spiel bringt, macht diese zu einer gemeinsamen Erfahrung. In einer Gesellschaft, die sich zunehmend polarisiert, können Kunst und Kultur demokratische Prinzipien erlebbar machen, angefangen beim Umgang mit Meinungsverschiedenheit.
Dabei wird Kultur heute zunehmend selbst zum Widerstand genötigt. Sie kann erfinderisch und engagiert sein, aber wenn man ihr die Mittel entzieht, verschwindet ein wesentlicher Sprach- und Hör-Raum in unseren Demokratien. Auch Kunst braucht verlässliche Grundlagen: öffentliche Förderung jenseits von politischen Opportunitäten und geschützte Orte, in denen unterschiedliche Stimmen Gehör finden. Das sind die Voraussetzungen für eine Kultur für alle, offen für Vielfalt. Es mögen eindringliche, überraschende, fröhlich oder nachdenklich stimmende Erlebnisse sein, die im Maillon auf Sie warten: Immer geht es auch um die gemeinsame Freude daran, sich in andere Welten mitnehmen zu lassen, um das Hier und Heute zu begreifen.
Barbara Engelhardt,
Leiterin